Alexandra Buratajewa, der Star aus der kalmückischen Steppe
Alexandra Buratajewa, der Star aus der kalmückischen Steppe
Träume kleiner Mädchen in der Steppe sind bescheiden: Eigentlich hatte sie Verkäuferin für Kinderspielzeug werden wollen. Was kann ein Nest wie Elista schon bieten, auch wenn es Hauptstadt der zu Russland gehörenden autonomen Republik Kalmückien ist?
Alexandra Buratajewas Vater war Kraftfahrer, ihre Mutter Verkäuferin. Die heute 35-jährige Duma-Abgeordnete ist das jüngste von fünf Kindern, „alles Mädchen, obwohl Vater sich so sehr einen Jungen gewünscht hat“. Drei von ihnen wurden in der Verbannung in Krasnojarsk geboren. Stalin hatte das Volk der Kalmücken – wie viele andere Nordkaukasier – nach Sibirien deportieren lassen. Erst Ende der fünfziger Jahre durften sie in ihre Heimat am Nordufer des Kaspischen Meeres zurückkehren.
Dankbar erinnert sich die studierte Philologin an ihre Eltern, die, selbst ohne Bildung und Besitz, alles taten, um ihren Töchtern eine Ausbildung zu bieten. „Sie haben sich das ganze Leben lang bemüht, uns das zu bieten, was ihnen verwehrt war. Und ich glaube, das ist ihnen gelungen.“
In Elista verbrachte Alexandra Buratajewa 29 Jahre ihres Lebens; erst seit sechs Jahren lebt sie in Moskau. Alle fünf Jahre, sagt sie, habe sie ihr Leben neu sortiert. Zuerst war sie Englischlehrerin. Dann betreute sie vier Jahre ihre Tochter; schließlich lockte das Fernsehen. Zunächst das kalmückische. Wie ein Orkan muss die schlanke Schönheit über den behäbigen Sender gekommen sein. „Ich gründete eine neue Nachrichtenredaktion, ich wechselte alles aus – das Studio, die Sprecher, die Journalisten.“ Doch sie hatte Appetit auf mehr. Es leben 170 Nationalitäten im Land – warum, fragte sie sich Anfang der Neunziger, sind im russischen Fernsehen nur Slawen zu sehen? „Ich wollte dieses Stereotyp zerschlagen.“ Das gelang ihr so gut, dass Nationalisten den Untergang Russlands befürchteten, als Buratajewa 1994 einen Wettbewerb der TV-Sprecher gewonnen hatte und zur Hauptsprecherin der Nachrichtensendungen „Nowosti“ und „Wremja“ aufstieg. Zusätzlich führte sie Interviews mit russischen Prominenten, mit dem Dalai Lama oder mit Richard Gere.
Irgendwann aber war sie es satt zu arbeiten, „als hätte ich selbst nichts zu sagen“. Das Studio hatte etwas virtuelles. An das Fernsehen denkt sie zwar mit Wehmut zurück: „Im Studio habe ich mein Volk erfreut. Im Streit zwischen Kalmücken und Kosaken, wessen Bischbarmak (Fleischgericht) besser sei, lautete das letzte, unanfechtbare Argument der Kalmücken: Aber eine von uns ist Sprecherin im zentralen Fernsehen! Sie waren einfach stolz auf mich.“ Doch drängte es sie nach dem richtigen Leben, „umso mehr, wenn ich die Typen in der Duma sah. Mein Gott, was hatte sich da in der zweiten Legislaturperiode zusammengefunden!“ Sie war überzeugt: Vieles könnte sie besser. „Und da habe ich mir diese Suppe hier eingebrockt.“ Ironisch lächelnd zeigt sie auf ihr Zimmer, kaum 15 Quadratmeter, die sie mit ihrer Mitarbeiterin teilt.
Kalmückien lebt von Hammelherden, seine Erdgas- und Erdölquellen haben dem Land bislang nichts gebracht. Beherrscht wird es von Präsident Kirsan Iljumschinow, dessen Extravaganz es in den Ruin trieb. Alexandra Buratajewa ist über den bekennenden Cadillac-Sammler erbost: Er lebe zumeist in der Schweiz und beschäftige sich lieber mit der Internationalen Schachföderation, deren Präsident er ist. Am Arbeitsplatz habe man ihn zuletzt zu den Mai- Feierlichkeiten gesehen.
Beinahe hätte Iljumschinow, der sein Land zum „zweiten Kuwait“ machen wollte, Buratajewas Kandidatur torpediert. Nach ihrem Sieg, Moskauer Zeitungen zufolge von Kreml-Intimus und Erdölbaron Roman Abramowitsch finanziert, hatte die örtliche Wahlkommission versucht, ihr den Sitz abzusprechen. Der Kalmückenherrscher hatte ihn einem Gefolgsmann versprochen. Erst ein Machtwort aus Moskau beendete das Ränkespiel.
Für den Kreml und die im Herbst 1999, aus dem Boden gestampfte „Eintracht“ ist die redegewandte Buratajewa ein Aktivposten. Die kaum bekannte Partei brauchte Zugpferde. Den männlichen Part übernahm der dreifache Olympiasieger im Ringen, Alexander Karelin. Inhaltlich setzen weder er noch Buratajewa die Akzente. Das tut vor allem Fraktionschef Boris Gryslow, ein Apparatschik aus Putins Petersburger Zeit, der auch auf dem heute und morgen stattfindenden Parteitag die Fäden zieht. Buratajewa darf sich im auswärtigen Duma-Ausschuss mit Kultur- und Sportbeziehungen beschäftigen, was sie eindeutig unterfordert. Gleichzeitig ist sie Chefin der Jugendorganisation.
Kein leichtes Amt in einer politikverdrossenen Zeit. Aber, weiß Buratajewa aus Komsomol-Zeiten, „die Kader entscheiden alles“. Um sie stehe es schlecht, also müsse man sie suchen und erziehen – „wie im Komsomol“.
Axel Springer, www.welt.de